Samstag, 18. April 2009

Joshua – Eine Geschichte um Leben und Tod

Joshuas sehr bewegende Geschichte um Leben und Tod habe ich mir von seinen Zieheltern Reverend Samuel und Romila erzählen lassen. Weil sie mich so tief berührt hat, habe ich sie für euch verschriftlicht. Habt an dem Wunder teil! (Joshuas Zieheltern sind gleichzeitig unsere indischen Gasteltern – somit ist Joshua quasi unser Gastbruder und wir verbringen täglich viele Stunden miteinander und lieben uns über alles!)


Nichts rührte sich. Trüber Glanz weniger Sterne drang in die verlassen daliegenden Straßen der indischen Riesenmetropole. Nur schwache Konturen ließen sich vor dem schwarzblauen Nachthimmel ausmachen. Silhouetten träge wiegender Kokosnussbäume und verschachtelter Flachdachhäuser. Alles blieb still.
Lediglich das klägliche Wimmern eines Säuglings drang durch die drückend heiße Nachtstunde. Ganz dünn. Kraftlos. Halb erstickt, so wirkte es. Erschöpft hob und senkte sich die Brust der Mutter. Sie wollte das Kind wiegen, um es endlich zu beruhigen – doch schon im nächsten Moment war sie selbst eingeschlafen. Der Schlaf quälte sie, Schweiß lief ihr über die Stirn. Um sie herum wurde es enger, sie fühlte sich gefangen, gejagt, kein Ausweg, wollte nur noch weg. „Weg!“ flüsterte sie. „Ganz weit weg.“ Mit all dem nichts mehr zu tun haben. Abschließen. Dieses hässliche, viel zu kleine Baby, das ganz gewiss bald sterben würde sich selbst überlassen. Hatte es sie nicht ohnehin schon lang genug gequält? Viele Wochen nach der Zeit war es erst zur Welt gekommen und wog dennoch nur etwas über einem Kilogramm. Es war ihr unheimlich. Runzelig und faltig erinnerte es sie mit seiner verschrumpelten Haut viel zu aufdringlich an einen alten Mann. Wirre Träume ließen sie im Schlaf hin- und herzucken. Ein alter Mann verfolgte sie, röchelte, gab jämmerlich fordernde Laute von sich. Sah ihr anklagend in ihr verschleiertes, unter dem schwazen, abgenutzten Seidenstoff verborgenes Gesicht. Versuchte, ihre Augen zu finden – doch sie wandte den Blick ab. Und rannte weiter, fort von diesem schrecklichen Ort. Ein weiterer alter Mann sprang auf die Straße. Sie stolperte, schrie und schrie – und wachte auf. Eine Schwester legte ihr ein kühlendes Tuch auf die feuchte Stirn und sah sie halbwegs mitleidig an. Der Säugling neben ihr wimmerte unglücklich vor sie hin. Sie langte hinüber zu ihrer Teetasse und begann, dem Kind kalten, abgestandenen Chaitee einzuträufeln. Die Schwester sagte nichts, schritt zum nächsten Bett und dreht der Szene den Rücken zu. Sie wusste, es wäre unklug, zu streiten. Das Kind würde ohnehin nicht überleben, warum sollte man den Tod hinauszögern… Schon 2 Tage ging das so. Nun dämmerte es erneut und der heranbrechende Morgen verhieß wieder einen unerträglich heißen, drückenden Junitag. Mühsam schob die Mutter ihre Beine über die Bettkante, verscheuchte damit ein paar Fliegen und legte das Baby, achtlos in nicht gewechselte Stoffbahnen gewickelt, auf die Mitte des Bettes, um zur Morgentoilette zu gehen. Sie kehrte nie zurück.
Eine Schwester nahm das Bündel und brachte es ins Schwesternzimmer. Dann bezog sie das Bett neu. Arzt und Schwestern besahen sich noch einmal das Kind, gaben ihm keinerlei Chancen zu Überleben und beratschlagten, wie sie es ebenfalls loswerden könnten. Sie riefen die Putzfrau herbei, drückten ihr das winzige Bündel in die Arme und wiesen sie an: „Da, behalte es bei dir, bis es gestorben ist.“

Doch so sollte es nicht kommen… Gott hatte seine Hand im Spiel!

Joshua ist nun schon beinah 11 Jahre alt und ein wahrer Wirbelwind. Doch daran hatte kaum jemand geglaubt, als er erst 11 Tage alt war. Am 4. Juni 1998 wurde er in dem kleinen Krankenhaus „Christudas“ in Tambaram geboren – weit nach dem festgesetzten Geburtstermin. Dennoch wog er lediglich 1,25 Kilogramm und maß 29 Zentimeter. Seine Haut war runzelig und faltig, wie die eines sehr alten Menschen und er befand sich in einem höchst kritischen Zustand. Die geistig etwas beeinträchtigte Mutter, eine unverheiratete Muslimin, wollte ihr Kind sowieso nicht haben. Darum gab sie ihm nicht einen einzigen Tropfen Muttermilch zu trinken; stattdessen heimlich Chaitee, um den Strebevorgang zu beschleunigen. Nach 2 Tagen, das Kind war immer noch am Leben, verließ die Mutter das Krankenhaus und ihr Kind. Da auch Doktor und Schwestern dem winzigen Baby alle Überlebenschancen abgesprochen hatten, gaben sie das hilflose Geschöpf der Putzfrau des Krankenhauses, damit sie es bei sich behalte, bis es gestorben sei.
Gerade in diesen Tagen musste ein Kind aus dem Manna Children’s Home ins Krankenhaus gebracht werden und erhielt das Bett neben Mutter und Kind. Auf diese Weise bekam eine Mitarbeiterin der HCL am Rande verworrene Details der ganzen Geschichte mit und berichtete Romila und Samuel davon. Daraufhin sandte Romila den damals für die HCL arbeitenden Doktor zum Krankenhaus, damit er sich ein Bild von dem Zustand des Babys machen solle. Auch er bezog den Standpunkt, dass Joshua nicht überleben werde. Obwohl die Situation hoffnungslos schien und sie auch unter den Mitarbeitern der HCL und bei ihrem Mann keine Unterstützung fand, wollte sich Romila des Kindes annehmen. Der innere und äußere Kampf im Gebet, Überlegungen und Diskussionen nahm 2 weitere Tage ein – bis Samuel schließlich einwilligte. So sandten sie erneut jemanden zum Krankenhaus, um das Baby zu holen. Doch es war nicht mehr da! Da der Doktor und die Helfer keine Informationen geben wollten, gelang es nur sehr schwer herauszufinden, wo sich das Kind inzwischen befand. Schließlich erfuhren sie von der Putzfrau, die ohne legale Adresse in einer winzigen Lehmhütte wohnte. Es dauerte einen weiteren Tag, bis sie sie fanden. Dort lag das Baby in etwas Stoff gehüllt auf der nackten Erde, auf seiner Brust eine ausgewaschene und mit Milch gefüllte Whiskyflasche, aus der es durch einen aufgesetzten Sauger in des Babys Mund tropfte. Die Frau wollte es nicht herausgeben, sondern das Bündel bis zu seinem sicheren, baldigen Tod behalten. Doch auch Romila und Samuel beharrten auf ihrem Wunsche und so gab sie schließlich und Romila und Samuel brachten Joshua umgehend zu einer berühmten Kinderspezialistin in Chennai. Doch auch diese war der Meinung, dass das Kind keine Chance habe und es Rauswurf des Waisenkindergeldes sei, sich weiter um das Überleben zu bemühen. Romila hielt das Kind verzweifelt in den Händen, weinte und betete… und wider alle Vernunft entschied sie, es ins Child Trust Hospital zu bringen. Auch hier begrüßte man sie unwillig und wollte das Kind nur ungern aufnehmen. Schließlich entschieden sie, es ohne medizinische Versorgung in den Inkubator zu legen, ein wenig zu füttern und ein paar Tage abzuwarten. Keiner durfte es in dieser Zeit sehen, dennoch wachte Romila mit anderen Mitarbeitern der HCL ununterbrochen betend im Krankenhaus.
Am 5. Tag dann die große Überraschung: Der Doktor kam und berichtete, er sehe eine Chance für Joshua zu überleben! Nun seien sie auch willig, Untersuchungen und Tests durchzuführen! Man begann, ihn mit Milch zu füttern, die mit Salz vermischt war. Schließlich konnten sie ihn mit nach Hause nehmen! Doch noch immer war unklar, ob Joshua nicht, wenn er tatsächlich überlebte, geistig und körperlich schwer behindert werden würde. Unter viel Pflege und Zuwendung wuchs er und nahm langsam zu……. Und wenn man sich nun den fröhlichen, gewitzten Jungen ansieht, kann man kaum glauben, was für eine Geschichte hinter seinen blitzenden Augen verborgen liegt. Übergeblieben ist lediglich, dass er kleiner und schmächtiger ist als die anderen Jungs in seinem Alter, aber keineswegs weniger aktiv! Gott hat ein großes Wunder an ihm vollbracht! Preist den Herrn!

Keine Kommentare: