Samstag, 29. November 2008

Drunter und drueber

Unruhig, das ist das Wort, welches diese Tage hier gut beschreibt. Um uns herum ist das Chaos ausgebrochen, es geht drunter und drueber.

-Da sind zum einen die Anschlaege auf Mumbay, von denen ihr sicherlich alle gehoert habt. Die haben das ganze Land aufgewuehlt und in grosse Aufregung versetzt. Die Lage ist ernst und die Konflikte nicht zu ignorieren. Was passiert ist, ist schrecklich und unfassbar brutal. Das ist aber nicht das einzige, was wie ein Schatten ueber dieser Zeit schwebt.

-Einige von euch werden auch von der dramatischen Situation in Orissa gehoert haben, wo Christen verfolgt und abgeschlachet werden. Die Häuser von mehr als 5000 christliche Familien wurden niedergebrannt oder zerstört. Sie sind in die Dschungel geflüchtet und leben in großer Angst während sie darauf warten, dass die Obrigkeiten/Behörden Frieden stiften. Aber bis jetzt ist kein Friede in Sicht.
Die von den Hindus iniziierte Christenverfolung beschraenkt sich nicht auf Orissa, sondern verstaerkt sich in allen Teilen des Landes. Im Sueden ist sie auch deutlich zu spueren, allerdings nicht so akut bedrohlich wie anderswo. In Chennai waegen wir uns einigermassen in Sicherheit – wobei man nie und nirgends ganz sicher sein kann. Bitte betet dafuer!

-Was wir aber zur Zeit ganz hautnah miterleben und was uns verstaendlicherweise daher am meisten bewegt, sind die Zerstoerungen und das Leid, die durch den starken Monsunregen unmittelbar hier, wo wir sind, verursacht werden. Seit Oktober ist Regenzeit. Das heisst aber nicht, dass es ununterbrochen regnet, sondern der Regen kommt eher schuebeweise. Mal regnet es wieder ein, zwei Wochen nicht, dann kommen mit einem Schlag solche Mengen mit einer solchen Gewalt herunter, dass man Angst vor einer 2. Sintflut haben koennte. Ueber hundert Menschen sind in dieser Woche umgekommen, viele Bauern haben ihre gesamt Ernte verloren, und in den Staedten – auch in Chennai, auch in unserer Strasse – steht das Wasser so hoch, dass die Menschen diese Woche 3 Tage pratkisch in ihre Hauese eingesperrt waren. Bei brusthohem Wasser wurden zahllose Huetten und Haueser zerstoert, die Zahl der Obdach- und Besitzlosen steigt ins Unermessliche. Viele Menschen finden nirgendwo einen trockenen Platz zum Schlafen, einfach alles steht unter Wasser. Die unbefestigenen Strassen verwandeln sich in schlammige Suempfe, die Abwassergraeben in reissende Baeche. Das Kinderheim ist bis heute von jeglicher Versorgung abgeschnitten gewesen, durch das Wasser konnte keiner dorthin gelangen oder wegkommen. Da auch dort das Wasser auf dem Gelaende huefthoch stand, wurden alle Kinder in die oberen Stockwerke eingesperrt. Die Kuechenraeume stehen unter Wasser, alles Feuerhoz zum Kochen ist vom Regenwasser durchtraenkt. Das Kochen gestaltet sich als sehr schwierig, darum wird auch nur wenigstens Reis gekocht, auf Gemuese muss verzichtet werden. Zu allem Ueberfluss geht im Heim auch noch die Grippe rum.
Wir 3 Praktikantinnen haben es da wirklich sehr gut, im ersten Stock des Gemeindehauses der MannaChurch steht zwar auf Grund des undichten Flachdachs staendig der Boden unserer Raeume staendig unter Wasser und die Wohnung erinnert an eine Tropfsteinhoele, aber das ist eine Lapalie gegenueber dem, was um uns herum geschieht.
In all dem Chaos bitte ich euch nun ganz dringend, mitzubeten. Fuer die Unwetter in Tamil Nadu, fuer die verfolgten Christen Indiens und fuer die politische Situation zwischen Indien und Pakistan, die durch die Terroranschlaege in Mumbay verschaerft wurde. Bitte betet auch fuer das Kinderheim und alle Mitarbeiter der HCL auch in den Krankenhaeusern etc – und fuer uns. Danke!

PS: Einen schoenen ersten Advent euch allen...

Freitag, 28. November 2008

Laeuse-Mia

„Horch, wer kommt von draussen rein? – Hollahi, Hollaho!“ ...Bei uns hat in dieser Woche die Laeuse-Mia angeklopft. Ein klein wenig zynisch habe ich mich schon immer gefragt, wann es wohl soweit sein wird... Denn immer wieder sehen wir im Heim Kinder, denen der Kopf wegen der Laeuseplage geschoren wurde. Egal ob Junge oder Maedchen, einfach den Kopf kahlzurasieren, ist in Indien die simpelste, billgiste und sicherste Antwort auf Laeusebefall. Wenn wir mit den Kindern spielen und zusammen sind, halten wir sie natuerlich nicht auf amrlaenge von uns entfernt, das wollen wir auch gar nicht!
Und so kam dann der Tag, als die Laeuse-Mia auch uns ihren Besuch abstattete. Wir haben uns natuerlich dagegen gewaehrt, unsere Haare als Tribut zu geben! Stattdessen holte Magdalena ihre vorsorglich in grosser Weisheit eingepackte Flasche Goldgeist heraus und gegenseitig haben wir uns die Koepfe gruendlichst gewaschen und mit dem Laeusekamm ausgekaemmt. Dann wurde eine Grosswaesche durchgefuehrt, ziemlich ausnahmslos alle Kleidungsstuecke, Tuecher, Handtuecher, Decken und Bettlaken haben mit einem Stabkocher erhitztes Seifenwasser gesehen und wurden mehr schlecht als recht, aber mit einem leichten Lied auf den Lippen mit der Hand ausgewaschen. Das Waschen hat total Spass gemacht – wegen der hohen Luftfeuchtigkeit in der Regenzeit aber sind die Sachen auch nach 2 Tagen noch feucht und klamm...:(
Nach getaner Arbeit schmerzten uns alle Knochen, aber wir fuehlten uns sauber und zufrieden. Die Aktion hat irgendwie total Spass gemacht und uns auch zusammengeschweisst! Am Abend erlaubten wir uns zur Feier des Tages dann erstmal mit dem Laptop einen Film zu sehen, was eigentlich verboten ist, um ehrlich zu sein ;) Man, war das lustig! Der Film hat richtig gut getan und laesst die Vorfreude steigen, in Deutschland endlich wieder abzutanzen *grins* Die Laeuse-Mia darf ruhig auch mittanzen, allerdings werde ich ihr vorher den Kopf kahlscheren ^lach
Liebe Gruesse!

PS: Uebrigens haben wir damit wirklich alles erdenkliche einmal durch: Laeuse, Fieber, Grippe, Durchfall, geprellte Zehen, Schuerfwunden am ganzen Koerper... in Indien ist halt immer was los ;) Ich selbst bin vom schlimmsten immer verschont geblieben, Sabine leidet am meisten... eigentlich hat sie immer irgendwans :P aber alles laesst sich ueberleben! *lach* Das Glas ist halbvoll!

Dienstag, 25. November 2008

Ungebetene Gaeste und andere Hausgenossen

Gastfreundschaft ist eine hohe Tugend. Doch nicht jedem Gast wird mit freudigen Willkommensgruessen Unterschlupf gewaehrt. Zwar koennte man unsere lautstarke Reaktion auf solchen Besuch als stuermische Begruessung interpretieren, aber weit gefehlt…

…in der 12/2 las ich im Deutschunterricht erstmals Kafkas “Die Verwandlung”. Soweit Indien nun auch vom Entstehungsland dieser Lektuere entfernt liegen mag, wird ihre Geschichte hier fuer mich lebendiger denn je. Nie konnte ich mir Gregor Samsa so gut vorstellen, wie in unserer neuen Umgebung. Dick und Schwarz sitzt er auf einmal an der Gardine. Kaum einen Wimpernschlag spaeter ist er auf dem Boden gelandet und flitzt flink quer durch den Raum, verharrt starr in einer Position, unberechenbar und unheimlich. Dann ist er verschunden – ob unters Kopfkissen, in den Kleiderschrank oder aus dem Fenster hinaus, ist ein Raetsel. Bis wir die Aufloesung wissen, koennen wir aber jedenfalls keine Ruhe finden! Der Puls weiß sich nicht recht zu sortieren, die Wangen sind vor Aufregung geroetet, die Stimmbaender werden durch nicht zurueckhaltbares Kreischen wiederholt Zerreissproben unterzogen, alle Muskeln sind angespannt - in der staendigen Bereitschaft, bei erneutem Auftauchen der fetten Kakerlake auf den naechsten Stuhl zu huepfen oder Hals ueber Kopf aus dem Zimmer zu rennen und Hilfe zu holen. Alarmiert ist das ganze Haus ohnehin schon und der Junge mit dem Besen – der Sensemann der Kakerlaken - ist bereits unterwegs… puh, gerettet! Er lacht natuerlich…^^ und nach einer Weile fallen wir schallend in sein Gelaechter ein....

Weniger angsteinfloessend aber in gleichem Masse unwillkommene Hausgenossen sind die Ameisen und Moskitos. Am Anfang waren sie gewoehungsbeduerftig, aber inzwischen arrangieren wir uns ganz gut miteinander… ;)
Sehr suess in ihrer tollpatschigen Unschuldigkeit sind hingegen die kleinen Gekkos, die auch gerne mal beim Duschen zuschauen :P. Ganz verzueckt bin ich immer jedesmal, wenn ein huebsches, kleinen Streifenhoernchen zum Fenster hereinschaut, bevor es wieder mit seinen Freunden verspielt die Palmen hinauf und hinab huscht.
…Gebeten oder ungebeten, belbeter als deutsche Haushalte sind indische allemal!

Freitag, 21. November 2008

Englisch – (K)Inderleicht

Inder sind schon friekiee… Zwar ist Englisch die Amtssprache in grossen Teilen des Subkontinents. Grundlagenkenntnisse dieser Sprache zu besitzen ist daher fuer jeden ratsam. Bezueglich der Rechtschreibung und Grammatik entwickeln sie aber ihre eigenen Regeln:

Statt Quality schreibt man Kwality und das Schild auf dem Baugrundstueck proklamiert: “This property belong’s to …”. “No see dolphins, no pay money”, verspricht ein Gewerbe und Joshua erklaert: “you clean, no allergy!”
Der aktive Wortschatz der Kinder im Heim, egal ob sie 5 oder 15 Jahre alt sind, umschliesst etwa: “Praise the Lord!”, “Correct!”, “Good night”, “Hallelujah”, “My name:…”, “Your name?” und um das ganze abzurunden “Amen.”.Gerufen werden wir von ihnen respektvoll mit mit Ann-auntie, Magdalna-auntie und so weiter 
Gesprochen wird in zusammenhanglosen Satzbruchstuecken. “What speak?”, fragt Joshua und meint “What do you say?”
Das viele Inder nicht mehr als Schlagwoerter herausbringen, liegt an der Unterrichtsmethode der Schulen. Hier werden nur passiv Texte gelesen (ohne das Textverstaendnis zu kontrollieren) - die Kinder lernen aber niemals, eigenstaendig Saetze zu formen und Woerter in neuen Kombinationen zusammenzusetzen. Und was Haenschen nicht lernt, lern Hans nimmermehr…
Diejenigen Inder jedoch, die sich durch eine raetselhafte Wendung des Schicksals bessere Sprachkenntnisse aneignen konnten, lieben es, diese sogleich dramatisch hochzuspielen. So wird nicht nur theatralisch einiges aus dem Shakespearevokabular im Alltag verwendet. Auch werden nach jedem “the” verheissungsvolle, spannungsaufbauende Pausen eingebaut, deren Aufloesung durch die Bekanntgabe des Nomens total ernuechternd ist – zum Beispiel: “So we go to theeeee (Pause-Pause… Spannung steigt!) car.” Na toll! *schmunzel* Da faellt es uns oft schwer, uns das Lachen zu verkneifen… :D

Freitag, 14. November 2008

Reisefieber

Es ist heiss – und es ist schwuel. Und es ist spaet. Die Plaetze sind so voller Menschen wie eh und je. Hier und da hat allerdings schon jemand sein grosses Tuch ueber sich gebreitet und sich zum Schlafen zusammengerollt. Mitten in auf der Strasse. Eilig stolpern wir durch die Menge, beladen mit einem Rucksack und ein oder zwei Taschen. Endlich gelangen wir an den Bahnsteig, die Spannung steigt. Uns steht unsere erste Zugfahrt mit der indischen eisenbahn bevor, in einem der Schlafwaegen ueber Nacht. Ich kann es kaum erwarten, in den Zug zu steigen. Zwar wurde uns eingeschaerft, nicht freundlich zu schauen und zu niemandem Augenkontakt zu haben (schon gar nicht zu Maennern), aber was ich auch anstelle, ich kann mein froehliches Dauergrinsen einfach nicht unterdruecken, so sehr freue ich mich… Ein schrilles, langgezogenes Pfeifen ertoent und der Zug faehrt schwerfaellig in den Bahnhof ein. Wagen reiht sich an Wagen, die Laenge erscheint endlos! Genauso wie die Anzahl der Menschen, die sich um uns herum draengen. Kein Wunder, das man Fahrkarten in Indien spaetestens 4 Wochen im Vorraus kaufen muss… Der Zug kommt irgendwann zum stehen und wir machen uns auf die Suche nach unserem Wagon. An der Tuer ueberpruefen wir die Reservierungsliste: hier sind saemtliche Namen aller Passagiere dieses Wagons mit Alter und Reservierungsnummer aufgefuehrt. Dann setzen wir unseren ersten Fuss aufs Trittbrett – und die Reisezeit hat begonnen. Das Reisefieber hat uns gepackt und in diesem Jahr wollen wir jede Gelegenheit nutzen, um mehr von dem Land mit seinen vielen Seiten kennenzulernen.
Der erste Trip fuehrte und nach Bangalore, wo wir die indischen Leiter der EC-Indienhilfe kennenlernen und viel Zeit mit der Familie des Chefs, Sethus verbringen. Wir duerfen eine sehr heimelige Atmosphere erleben und ausserdem den zu Chennai unvergleichlichen Komfort einer weniger ueberfuellten und mehr westlich orientierten Stadt geniessen, die zudem viel kuehler und fast mueckenfrei ist. Gemeinsam mit 2 weiteren Praktikantinnen aus einem Kinderheim des EC an der Suedspitze Indiens verbringen wir eine schoene, erfrischende und aufbauende Zeit mit Phasen der Entspannung und andern Phasen interesasnten Programms. So machen wir eine Stadttour durch Bangalore und eine Staatentour durch Karnataka mit und sehen dabei viel von der Kultur und Geschichte, waehrend wir Tempel, Parkanlagen und Sulatanspalaeste besuchen. Besonders der MysorePalace hat mich ganz verzaubert, noch nie war ich in einem sooo schoenen Gebaeude! Die Baumeister der alten Koenigreichen waren innenarchitektonisch wirklich begabt… es ist wunderwunderwunderschoen darin!
Wir 3 sind wirklich total dankbar, dass wir hier reisen duerfen – und freuen uns auf alle weiteren Reiseerlebnisse!
Indien. Ein Land. Viele Welten…